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Zwischen Roter Weißeritz und Pöbeltal

Text: Jens Weber, Bärenstein (unter Verwendung von Vorarbeiten von Wolfgang Kaulfuß, Dippoldiswalde, sowie Torsten Schmidt-Hammel, Dresden)
Fotos: Stefan Höhnel, Mike Körner, Dietrich Papsch, Jens Weber

16. Jahrhundert

Seit 300 Jahren beherrschen die Burgen von Lauenstein und Bärenstein das Müglitztalgebiet sowie die Burg von Frauenstein die Gegend zwischen Wilder Weißeritz und Freiberger Mulde. In ihrem Schutze haben sich in den letzten Jahrzehnten kleine Städtchen gebildet, während die Hochflächen schon seit vielen Generationen von Bauern bewirtschaftet werden. Nur noch sagenumwobene Geschichten erzählen von den Zeiten, als ferne Vorfahren das Land rodeten und mit ihren Pflügen die ersten Schollen aufbrachen. Harte Arbeit muss dies gewesen sein, alles mit der Axt, ohne Säge! Doch waren die Altvorderen ziemlich freie Menschen. Heute hingegen drücken Abgaben und Frondienste die Bewohner von Reichenau, Hermsdorf und Hennersdorf, von Johnsbach, Liebenau und Döbra. Seit drei Jahrhunderten mühen sich die Dörfler, ihren Lebensunterhalt von den Erträgen der schmalen Hufenstreifen zu bestreiten. Der Boden ist nicht schlecht, doch immer wieder führen Missernten zu Rückschlägen, zu noch mehr Verschuldung gegenüber den Rittergutsherren und damit zu künftig noch größeren Lasten.

Wie verlockend klingt da das "Berggeschrey" aus den weiten, wilden Bernsteinschen Waldungen, die sich zwischen Pöbel- und Rotwassertal erstrecken! Auch Bergbau bedeutet harte Arbeit, aber vielleicht ist einem ja das Schicksal hold und bringt Wohlstand und Freiheit?

Im Seifenmoor versuchen etliche Leute ihr Glück. Sie teilen den Weißeritzbach in viele Gräben, stauen mit Dämmen kleine Wassertümpel an, schaufeln Kies und Sand hinein, öffnen den Damm und lassen vom ausströmenden Wasser alle leichten Bestandteile hinfortspülen. Zurück bleiben nur die schweren Mineralkörner, und mitunter ist auch mal ein Zinngraupen dabei.

Doch so erfolgreich wie einst ist diese Methode schon lange nicht mehr. Wer an die Schätze des "Obermeißnischen Gebürges" ran will, der muss schon den Bergen selbst zu Leibe rücken. So wie nun seit einigen Jahrzehnten schon am Alten Berg, der kleinen Kuppe südwestlich des Geisingberges. Die Ausbeute dort scheint die Mühen zu lohnen. Immer weiter wuchert die Stadt in ihr Umland hinein. Die früheren gesetzlosen Zustände gehören auch der Vergangenheit an, seit der Landesherr das Gebiet der Zinnerzvorkommen den Bernsteiner Rittern abgenommen hat. Ja ja, der Herzog Albrecht und sein Sohn Georg, die wussten schon, wo sie zulangen mussten, um sich ihre Einkünfte aus dem Bergbau zu sichern!

Aber die Bernsteins sind trotzdem nicht verarmt. Immerhin gehört ihnen ja noch der riesige Wald nördlich von Altenberg. Der dortige Boden ist allerdings so karg, dass bisher niemand daran gedacht hat, da zu siedeln. Wilde Tiere, auch Bären und Wölfe, tummeln sich zwischen den hohen Tannen, Fichten und Buchen. Selbst in der Nähe der umliegenden Dörfer, am Schönfelder Rennberg, im Ammelsdorfer Hölloch, an der Bärensteiner Biela oder im Falkenhainer Hohwald, da müssen die Hirtenjungen immer sehr auf der Hut sein, wenn sie die Ziegen und Kühe zur Waldweide treiben.

Doch bald soll das alles anders werden. Die Bärensteiner Grundherren haben so einiges vor in den nächsten Jahren! Wenn sie schon den wertvollsten Teil ihrer ehemaligen Besitzungen abtreten mussten, das Zinnrevier am Geyßingsberge, so wollen sie doch das Holz ihrer Wälder in klingende Münze verwandeln.

Der Holzbedarf in den Gruben ist schier unersättlich! Um das Gestein so weit mürbe zu kriegen, dass Schlegel und Eisen etwas ausrichten können, schichten die Bergleute gewaltige Holzstapel vor den Fels. Feuer entfacht Hitze, bis Risse die Grubenwand brüchig machen. Auch die Schmelzöfen rufen nach Brennmaterial, und nicht zuletzt die vielen neuen Herdstätten im strengen Gebirgswinter.

Die von Bernsteins mühen sich gerade, Freiwillige zu finden für die Anlage neuer Vorwerke in der wilden Waldödnis, um von dort aus das Holz zu schlagen. Sicher ein hartes Leben da draußen, fern der schützenden Dorfgemeinschaft! Der karge Boden wird kaum mehr als etwas Hafer hervorbringen, die Winter sind streng, die Wege durch den Bernstein-Busch außerdem beschwerlich und gefährlich. Da werden sich die Herren etwas einfallen lassen müssen - Befreiung von Abgaben dürfte das Mindeste sein, was sie den künftigen Hinterwäldlern versprechen sollten! Namen für die neuen Siedlungen haben sie sich jedenfalls schon ausgedacht: "Bärenfels" und "Bärenburg".

Derweil arbeiten bereits tagein, tagaus die Holzfäller nördlich vom Pöbelknochen. Hier könnten auch noch größere Mengen Erz liegen. Bislang wird unten am Pöbelbach nur Eisen gewonnen. Das ist zwar notwendig für die Schmieden, aber reich kann man davon nicht werden. Ob die jüngsten Zinnfunde am Pöbelknochen wohl so ergiebig sein werden wie die am Alten Berg? Jedenfalls setzt der Schelle, Hans - ein wirklich guter und weitsichtiger Mann, dem schon anderswo beachtliche Bergwerksanteile gehören - hier große Hoffnungen.

Gleich von Anbeginn will er für geordnete Verhältnisse sorgen und ein wildes, gesetzloses Chaos wie damals in Altenberg vermeiden. Die Leute, die demnächst in seinen Schächten am Pöbelknochen arbeiten werden, sollen sich auch noch etwas zu Essen anbauen können, um nicht wieder hungern zu müssen, wenn die Verpflegungswege aus dem Böhmischen monatelang verschneit sind. Deshalb lässt er seine künftigen Angestellten hier den Wald roden und ein Dorf anlegen. Sowohl der Landesherr in Dresden als auch der Grundherr auf Bärenstein haben es genehmigt. Wer weiß, was der Schelle dafür bezahlen musste?! Ein bisschen altmodisch ist er übrigens. Seit Ewigkeiten hat keiner mehr ein Dorf in Waldhufenform gegründet, so wie damals die ersten Kolonisatoren. In Schelles Gehau soll es aber genauso wieder geschehen. Na ja, nicht ganz. Es wird sicher nur eine Häuserzeile, das Gehöft in der Mitte eines Streifens von der moorigen Weißeritzsenke bis auf den zugigen Höhenrücken, hinter dem es steil hinab ins Pöbeltal geht.

Zu beneiden sind die Frauen und Kinder nicht, die dieses Land werden bearbeiten müssen, wenn ihre Männer und Väter in der ewigen Dunkelheit des Gebirges den erzreichen Gesteinen zu Leibe rücken. Wird der Boden auch das Überleben sichern, wenn der Berg nicht vom "Glück auf"-geschlossen wird?

Landschaft

Rote Weißeritz und Pöbelbach haben (bzw. hatten) ihre Quellen zu Füßen des Kahleberges. Diese natürlichen hydrologischen Verhältnisse erfuhren seit dem ausgehenden Mittelalter erhebliche Veränderungen, indem das Wasser der einstmals ausgedehnten Moorgebiete über Gräben, vor allem den sieben Kilometer langen Neugraben, zum Galgenteich und schließlich zu den Altenberger Bergwerken geführt wurde. Im weiteren Verlauf fließen beide Bäche ziemlich konsequent in Richtung Nordwest, folgen also der Hauptabdachung der Erzgebirgsscholle. Rund 12 Kilometer talabwärts vereinigen sie sich in Schmiedeberg. Schon nach kurzem Anlauf haben sich die Bäche bereits beachtliche Täler gegraben, die Hänge werden mit zunehmender Lauflänge immer steiler.


Aussichtspunkt Stephanshöhe

Der von Roter Weißeritz und Pöbeltal eingeschlossene Riedel tritt deshalb nach Nordosten zu immer steiler in Erscheinung, wenngleich seine absolute Höhe abnimmt (vom Pöbelknochen - 833 m, über Stephanshöhe - 804 m, Spitzberg - 699 m, Hofehübel - 693 m, zum Brand - 661 m). Besonders bei Bärenfels, wo sich die beiden Bäche auf rund 700 Meter Luftlinie nähern, bekommt die Landschaft einen ausgesprochen gebirgigen Charakter. Der Höhenunterschied zwischen dem höchsten Punkt des Hofehübels und der Pöbeltalsohle oberhalb der Wahlsmühle beträgt 155 Meter (auf 300 Meter Entfernung!), auf der anderen Seite geht es 130 Meter herab zur Bärenfelser Mühle an der Roten Weißeritz.

Entsprechend klein ist die Siedlungsfläche der Ortslagen Oberkipsdorf und Bärenfels. Etwas weiter Richtung Gebirge hingegen konnte zwischen Stephanshöhe und der Senke der noch jungen Weißeritz (bzw. in den Quellwiesen des ihr zufließenden Salzleckenflüssels) der Ort Schellerhau Platz finden.

Nicht nur das Relief ist in diesem Gebiet gebirgig, sondern auch das Klima. Westlich der regionalen Wetterscheide gelegen, die der Quarzporphyrrücken Bornhau - Kahleberg - Tellkoppe - Kohlberg bildet, erreichen die Niederschläge in Schellerhau deutlich über 1000 Liter pro Quadratmeter im Jahr. Ein Großteil davon fällt als Schnee, was die Region zu einem beliebten Winterurlaubsziel macht.


Winter bei Schellerhau

Das einstmals vermoorte und auch heute noch recht nasse Areal des Seifenbusches (dessen letzter Kernbereich, das Seifenmoor, um 1990 dem Bau des dritten Galgenteiches weichen musste) setzt sich auch auf Schellerhauer Flur fort. Selbst für die DDR-Landwirtschaft lohnten sich manche Bereiche dieser moorigen Senken nicht, so dass ein Teil der Flächen brach fiel. 23 Hektar der "Schellerhauer Weißeritzwiesen" konnten daher 1992 als Naturschutzgebiet ausgewiesen werden, um Reste der früher landschaftsbeherrschenden Borstgrasrasen dort zu sichern. .

Zwischen Galgenteichen und Kipsdorf durchfließt die Rote Weißeritz den Bereich des Schellerhauer Granits, während sich die Pöbel ihren Weg entlang von dessen Westrand gebahnt hat. Der Schellerhauer Granit ist, ebenso wie der benachbarte Teplitzer Quarzporphyr, aus den sauren Gesteinsschmelzen hervorgegangen, die am Ende der Variszischen Gebirgsbildung, vor 310 bis 295 Millionen Jahren, aus dem oberen Erdmantel aufdrangen. Tief unter den Bergkämmen der Varisziden erstarrte das Gestein langsam und allmählich. Ebenso wie bei den etwas jüngeren und kleineren Granitstöcken von Altenberg, Zinnwald, Bärenstein und Sadisdorf hatten sich damals wahrscheinlich auch im Kuppelbereich des Schellerhauer Granits Erze angereichert, doch ist diese Kuppel in den nachfolgenden Jahrmillionen abgetragen worden. Nur am Nordwesthang des Pöbelknochens wurde etwas Zinnerz gefunden, abgesehen von den Eisenvorkommen im oberen Pöbeltal und an der Salzlecke. Doch blieben die Erträge weit hinter den Hoffnungen zurück, die im 16. Jahrhundert der Bergwerksunternehmer Hans Schelle da hinein gesetzt hatte. Der Schellerhauer Granit verwittert zu ziemlich nährstoffarmen, grusigen Böden, die nur eine sehr bescheidene landwirtschaftliche Nutzung erlaubten, so lange keine chemische Düngemittel zur Verfügung standen. Entsprechend erfreut nahmen die hart arbeitenden und dennoch armen Schellerhauer ab Ende des 19. Jahrhunderts die neuen Einkunftsmöglichkeiten an, die der beginnende Fremdenverkehr bot - und heute immer noch bietet.

Der Pöbelbach, zunächst an der Grenze zwischen Granit und Grauem Gneis entlangfließend, setzt ab etwa einem Kilometer oberhalb der Putzmühle seinen Weg in einem abwechslungsreichen Gesteinsmosaik fort. Zunächst durchschneidet das Gewässer den blaugrauen Schönfelder Quarzporphyr. Dabei handelt es sich um einen abgetrennten Teil eines einstigen Deckenergusses sauren Vulkangesteins, das heute Rhyolith genannt wird. Teilweise liegt dieser Porphyr aber auch in verfestigten Geröllen (Konglomeraten)vor. Ab der Wahlsmühle schließlich stehen verschiedene, eng miteinander verzahnte Gneise an, durchzogen von mehreren Gängen des Sayda-Berggießhübler Porphyr-Gangschwarmes, aber teilweise auch von vielen Erzgängen, die ihren Ursprung in der kleinen Granitkuppel der Sadisdorfer Pinge haben.

Entsprechend prägte über lange Zeit der Bergbau das Gebiet um Niederpöbel. Die Ausspülung von roten Schlämmen aus den vielen Pochwerken und Erzwäschen, anfangs auch aus den Eisengruben um Schellerhau, gab der "Roten" Weißeritz ihren Namen. Die meiste Sedimentfracht floss erst über die Pöbel in Schmiedeberg zu. Aber auch das Salzleckengründel, wo am Lindenhof einstmals hochwertiges Eisenerz gefördert wurde, trug früher den Namen Rotwasser. Bergbau-Haldenmaterial kam auch unter dem Asphalt zutage, den 2002 das Hochwasser auf großen Strecken von der B 170 wegriss. Mit den Zinnklüften im Eulenwald, der Sadisdorfer Binge, unzähligen weiteren kleinen und größeren Einsturztrichtern beiderseits von Saubach- und Pöbeltal sowie großen "Wismut"halden hinterließ der Bergbau bis heute interessante Spuren in der Landschaft.

Pflanzen und Tiere

Auf den Böden der sauren Gesteine überwiegen heute auch im Schellerhauer und Schmiedeberger Raum Fichtenforsten. Daneben findet man jedoch am Hofehübel und im unteren Pöbeltal noch einige der eindrucksvollsten naturnahen Waldbestände des gesamten Ost-Erzgebirges. Zu verdanken ist dies in ganz besonderem Maße Herrmann Krutzsch, der von 1926 bis 1943 das Forstamt Bärenfels leitete und zu einem Musterbetrieb naturgemäßer Waldwirtschaft entwickelte. Obwohl seine Waldbaugrundsätze in den 1950er Jahren zur forstlichen Doktrin der "Vorratspfleglichen Wirtschaft" erhoben wurden, mussten in den darauffolgenden drei Jahrzehnten viele seiner "horst-, gruppen- und truppweisen" Mischwaldpflanzungen (in Försterfachsprache: "Horst" = 0,1 - 0,5 Hektar; "Gruppe" = 0.03 - 0,1 ha; "Trupp" = kleiner als 0,03 ha) wieder den dann modernen "industriemäßigen Produktionsmethoden in der Forstwirtschaft" weichen. Einer der von Krutzsch besonders favorisierten Beispielbestände sollte etwa am Spitzberg gegenüber des Forstamtes entstehen, doch ist von der damaligen Waldumwandlung an diesem Ort heute fast nichts mehr zu erkennen. Der Hofehübel indes präsentiert noch immer eindrucksvolle, edellaubholzreiche Fichten-Buchen-Mischwälder - vor allem dank der Unterschutzstellung als Naturschutzgebiet 1961 (seit einer Erweiterung 2001 derzeit 72 Hektar). Neben Berg-Ahorn, Eschen und einigen noch recht vital erscheinenden Berg-Ulmen wachsen hier auch noch wenige der einstmals waldbeherrschenden Weiß-Tannen.


Der mit Abstand größte Weißtannenbestand des Ost-Erzgebirges - ja ganz Sachsens - wächst am Westhang des Pöbeltales, unterhalb des Hüttenholzweges zwischen Oberkipsdorf und Niederpöbel. Nicht allein die Anzahl (ca. 120), die Größe und der offensichtlich recht gute Gesundheitszustand der Tannen wirken auf jeden Waldbesucher faszinierend. Durch plenterartige Pflege des Bestandes hat sich ein vielgestaltiges Neben- und Übereinander von verschiedenen Baumarten eingestellt, darunter auch reichlich Naturverjüngung der Weiß-Tanne ("Plentern" = Entnahme von sorgfältig ausgewählten Einzelstämmen anstatt Holzernte auf größeren Flächen).

Dass die Böden von Natur aus sauer und das Gebiet ebenfalls nicht von zusätzlichen Säureeinträgen aus Luftverschmutzungen verschont geblieben ist, zeigt das Vorherrschen des Wolligen Reitgrases (Calamagrostis villosa) in vielen Waldbeständen - in den künstlich begründeten Fichtenforsten ebenso wie in naturnahen Bereichen des Naturschutzgebiets Hofehübel. Doch die Hubschrauber-Kalkungen der letzten zwei Jahrzehnte zeigen mittlerweile Wirkung. Vielerorts brechen die Calamgrostis-Teppiche auf und machen Platz für Fuchs-Kreuzkraut, Himbeere und, wo es die Wilddichte erlaubt, auch für die Charakterarten montaner Buchenmischwälder Purpur-Hasenlattich und Quirl-Weißwurz. Von den durch die Kalkdüngungen mobilisierten Nitratvorräten des Bodens werden Stickstoffzeiger wie Brennnessel gefördert. Bemerkenswert ist besonders um Schellerhau das besonders üppige Auftreten von Neophyten - pflanzlichen Neusiedlern in den Wäldern. Im Hochsommer sind die gelben Telekien einerseits und das violette Drüsige Springkraut unübersehbar. Letzteres tritt ansonsten ja vor allem als Problemart feuchter Bachuferfluren in Erscheinung, doch hier um Schellerhau verschaffen ihm die hohen Niederschläge offenbar selbst auf gewässerfernen Standorten geeignete Wachstumsbedingungen.


Drüsiges Springkraut

Zu den "Verlierern" dieser Prozesse gehören u.a. Blaubeeren und Preiselbeeren, Zeigerpflanzen für magere Bodenverhältnisse. Früher waren vor allem die Bewohner der armen Gebirgsdörfer wie Schellerhau, Bärenfels und Bärenburg auf Waldfrüchte angewiesen, zum eigenen Verzehr und zum Verkauf. Bis nach Dresden zogen die Gebirgler zu Markte, mit Waldbeeren, Pilzen und "Isländisch Moos" (eine damals als Hustenmittel begehrte Flechte, die heute nur noch sehr selten vorkommt).


karge Ebereschen-Steinrücke bei Schellerhau

Da die Flur von Schellerhau wie die der (viel älteren) Waldhufendörfer des Ost-Erzgebirges gegliedert wurde, prägen heute auch hier einige dutzend parallele Steinrücken die Landschaft. Entsprechend der hier abgelagerten Lesesteine von nährstoffarmem Granit haben darauf vor allem die anspruchslosen Ebereschen fußgefasst. Weil jedoch der größte Teil der Gemarkung schon lange nicht mehr ackerbaulich, sondern vor allem als Grünland genutzt wird, sind kaum noch neue Steine hinzugekommen. Stattdessen überzieht dichter Grasfilz mit Wolligem Reitgras, Weichem Honiggras und Rotem Straußgras die meisten Steinrücken. Nicht wenige Abschnitte werden auch von Waldrandstauden, vor allem der im Juli weithin leuchtenden Feuerstauden (Schmalblättriges Weidenröschen) eingenommen. Die Ausbringung von Gülle und anderen Düngemitteln bescherte den Steinrücken darüber hinaus noch zusätzliche Stickstoffgaben, die Brennnesseln, Himbeeren sowie diverse Neophyten gedeihen, typische Steinrückenarten wie Purpur-Fetthenne, Echte Goldrute und viele Flechtenarten hingegen seltener werden lassen. Eine weitere Entwicklung verändert den Charakter dieser besonderen Biotope des Ost-Erzgebirges: während früher die Gehölze der Steinrücken als Brennholz genutzt wurden, setzte in den letzten Jahrzehnten einerseits eine um Schellerhau deutlich zu erkennende Überalterung der Ebereschen, andererseits auf den nährstoffreicheren Abschnitten aber auch eine Sukzession zu Bergahorn-Eschen-Gesellschaften ein. In letzteren finden sich dann auch (Berg-)Waldarten ein, z.B. Platanen-Hahnenfuß, Quirl-Weißwurz und Fuchs-Kreuzkraut. Auf nicht wenige Steinrücken stößt man innerhalb von Fichtenforsten. Als seit Ende des 19. Jahrhunderts die mühevolle landwirtschaftlich Nutzung der kargen Böden nicht mehr zwingend notwendig war zum Überleben, ergriffen viele Landbesitzer die Chance und verkauften ihre Flächen dem Staatsforst zur Aufforstung.


Die betagten Ebereschen auf den Schellerhauer Steinrücken bilden teilweise bizarre Formen.

Aufgelassene Kleinseggen- und Borstgrasrasen im Gebiet der Schellerhauer Weißeritzwiesen sowie der Salzlecken-Quellsenke haben nach einigen Jahrzehnten Nutzungsaufgabe in beträchtlichem Umfang Moorbirkenbeständen Platz gemacht. Diese feuchten Moorbirkenwälder erwecken einen sehr dauerhaften Eindruck und lassen kaum vermuten, dass es sich nur um ein Sukzessionsstadium hin zu natürlichen Fichten-Moorwäldern handeln soll, wie von der Wissenschaft postuliert. Die Bodenflora ist ziemlich artenarm. Abgesehen von etwas schattentoleranteren Resten der vorherigen Wiesen (z.B. Bärwurz, Wald-Engelwurz, Hirse-Segge) dominiert Pfeifengras.


Borstgrasrasen im NSG Schellerhauer Weißeritzwiesen

Auf den verbliebenen Borstgrasrasen, mageren Bergwiesen, Kleinseggenrasen und Nasswiesen konnte ein Rest der Artenvielfalt bewahrt werden, der einstmals typisch für diese Gegend des Ost-Erzgebirges war. Dazu gehören auch konkurrenzschwache, gefährdete Arten wie Großer Klappertopf, Schwarzwurzel, Arnika, Wald-Läusekraut, Kreuzblümchen, Fettkraut, Sonnentau, Gefleckte Kuckucksblume (und weitere Orchideen).


Fettkraut in Schellerhau

Der überwiegende Teil des Grünlandes um Schellerhau ist zu DDR-Zeiten mit enormem Aufwand drainiert und aufgedüngt worden und hat auf diese Weise viel von seiner ursprünglichen Artenfülle verloren. Das gleiche gilt für die Rodungsinsel von Oberkipsdorf. Heute werden diese Flächen zwar überwiegend gemäht, allerdings unter Einsatz großer Agrartechnik innerhalb eines einzigen Tages. Durch diese landwirtschaftlich sicher effektive Vorgehensweise der Agrargenossenschaft werden innerhalb kürzester Zeit nicht nur alle Kleintiere dieser Grünlandflächen jeglicher Fluchtmöglichkeiten beraubt. Auch ein Ausreifen typischer Bergwiesenpflanzen auf einer Fläche und deren Ansamung auf benachbarten, bereits gemähten Flächen wird unmöglich.

Um so wichtiger ist der Erhalt und die naturschutzgerechte Pflege der noch erhaltenen artenreichen Wiesenflächen, wie dies durch den Pflegetrupp des Fördervereins für die Natur des Osterzgebirges sowie im Rahmen des Schellerhauer Naturschutzpraktikums des Grünen Liga Osterzgebirge erfolgt.

Der über einhundertjährige Botanische Garten Schellerhau hat sich besonders in den letzten drei Jahrzehnten unter der Obhut seines langjährigen Leiters Michael Barthel (bis 2007) zu einem herausragenden Ort des Naturschutzes im Ost-Erzgebirge entwickelt. Viele Pflanzenarten, die in der freien Natur heute sehr selten geworden sind (etwa der Karpaten-Enzian oder der Isslersche Bärlapp) werden hier mit großer Sorgfalt bewahrt, zum Bewundern für botanisch interessierte Besucher - und für Zeiten, in denen die Lebens-Chancen dieser Organismen außerhalb des Zaunes des Botanischen Gartens wieder günstiger werden.


Führung im Botanischen Garten Schellerhau mit Michael Barthel

Entsprechend des sehr unterschiedlichen Habitatangebotes leben zwischen Roter Weißeritz und Pöbeltal auch sehr verschiedene Tier-Lebensgemeinschaften. In der Schellerhauer Weißeritzsenke mit ihren Birkenwäldchen und teilweise noch recht lichten Nadelholz-Jungbeständen kann man sowohl Vögel des Offenlandes wie Braunkehlchen, Wiesenpieper und sogar Wachtelkönig, als auch solche von Gehölzstrukturen vernehmen. Abgesehen von den allgegenwärtigen Kohlmeisen, Buchfinken und Möchsgrasmücken erreichen hier vor allem Fitislaubsänger, Baumpieper und Wacholderdrosseln beachtliche Brutdichten. Auch der Kuckuck ist hier oben noch regelmäßig zu hören.

In den naturnahen Buchen-Mischwäldern des Hofehübels und des Weißtannenbestandes im Pöbeltal leben demgegenüber vor allem Waldvögel. Dazu zählen der Schwarzspecht und die Nachnutzer seiner Höhlen: Raufußkauz und Hohltaube. Darüberhinaus sind beispielsweise Trauerschnäpper, Grauschnäpper und Zwergschnäpper nachgewiesen.


Futterhaus ub Schellerhau mit Gimpel und Grünfinken

Auf den Steinrücken und den angrenzenden, wenig gestörten Nassgrünlandflächen leben Kreuzottern. Mitunter begegnet man der schwarzen Farbvariante, der sogenannten "Höllenotter". Aus der - wegen der Höhenlage nicht allzu artenreichen - Insektenfauna sind Libellenarten der Moore hervorzuheben (Torf-Mosaikjungfer, Kleine Moosjungfer, Alpen-Smaragdlibelle). Im Botanischen Garten ist an sonnigen Sommertagen die Fülle an Tagfaltern, etwa mit Schwalbenschwanz, Trauermantel, Admiral, Distelfalter, Kaisermantel oder Großem Schillerfalter, unübersehbar. Dies weist auch auf ein gutes Angebot an Raupenfutterpflanzen in der Umgebung hin.


sommerliches Pfauenaugen-Stelldichein auf Telekien (einer rund um Schellerhau besonders häufigen Neophytenpflanze)

naturkundliche Wanderführung der Grünen Liga Osterzgebirge in Schellerhau

Quellen:

BÖHME, Brigitte (1998): Dokumentation zur Flora der Gemeinde Obercarsdorf und Umgebung; unveröffentlicht

GOEDE, Matthias (1997): Zustandsbewertung des NSG "Hofehübel" (Osterzgebirge) und Erarbeitung von Empfehlungen zur Pflege und Entwicklung auf der Grundlage einer flächendeckenden Waldbiotopkartierung; Diplomarbeit TU Dresden

HACHMÖLLER, Bernard (1992): Schutzwürdigkeitsgutachten für das geplante Naturschutzgebietz "Weißeritzwiesen Schellerhau"; StUFA Radebeul, unveröffentlicht

HAMMERMÜLLER, Martin (1964): Um Altenberg, Geising und Lauenstein; Werte der deutschen Heimat, Band 7

Heimatverein Kipsdorf (2004/05): Kurort Kipsdorf und Umgebung. ein heimatgeschichtliches Lesebuch

HEMPEL, Werner und SCHIEMENZ, Hans (1986): Handbuch der Naturschutzgebiete der DDR, Band 5

SCHMIEDE, Ralf (2004): Vegetationskundliche Analyse und naturschutzfachliche Bewertung ausgewählter Grünlandbiotope im Osterzgebirge, Diplomarbeit, TU Dresden

Staatliches Umweltfachamt Radebeul (1998): Flächenhafte Naturdenkmale im Weißeritzkreis, Broschüre

650 Jahre Sadisdorf - Ortschronik, Broschüre 1996

600 Jahre Naundorf - kleine Chronik, Broschüre 2004

www.baerenfels.de
www.botanischer-garten-schellerhau.de
www.sachsenschiene.de